Blogs

Kopfüber, kopfunter.

Kajaken im Tessin

1. Tag: Lago Maggiore. Anreise über den Vierwaldstättersee und durch den fast 17 Kilometer langen Gotthardtunnel. Danach geht’s entlang dem Hauptfluss, dem Ticino, hinab nach Bellinzona. Wir werden von Kastanienwäldern begleitet, die sich bis zu den Bergkanten hochziehen und das Tal unter einem matt schimmernden, dunkelgrünen Teppich verschwinden lassen. 

Auf dem Lago Maggiore steigen wir ins Boot, gut eingepackt in Neopren, Thermowäsche, Helm und Schwimmweste. Es wird gepaddelt, vorwärts, rückwärts, geradeaus, einseitig und beidseitig. Doch zuerst müssen alle noch unter Wasser, lernen, aus dem Boot zu steigen, wenn es kentert. Unter Wasser löst man die Spritzdecke, die den Körper mit dem Boot verbindet, von der Kante der Lucke, schwingt sich aus dieser und taucht auf. Das dauert vielleicht drei oder vier Sekunden, am Anfang glaubt man, eine kleine Ewigkeit im Nirgendwo zu sein – für Wasserscheue ist das die erste richtige Mutprobe.

Der erste Tag auf dem See ist für das Kennenlernen der Gerätschaft, das Vertrautmachen mit dem Medium Wasser und das Erlernen der ersten Grundtechniken, was das Steuern und Fortbewegen betrifft. Dann geht’s zum Campingplatz, die patschnassen Kleider werden aufgehängt, die Zelte aufgestellt, die Gaskocher in Betrieb gesetzt, Käse gerieben, Spätzle gepresst.  Die Stimmung ist gut, bald klicken die ersten Dosenbiere, es wird gegessen, geplauscht, getrunken – kaum einer bemerkt das Hereinbrechen der Nacht.

Am zweiten Tag holt uns bereits das Wildwasser ein. Der Ticino, wir springen hinein, lassen uns vom Wasser treiben, dann schnell wieder heraus, der Fluss ist kalt, hat um die 12 Grad.

Dann ins Boot, das Wildwasser hat uns endgültig. Wir lernen schnell, Kajaken ist nicht nur eine Frage der Technik und Ausdauer, sondern ebenso eine der Fähigkeit, den Fluss und seine Strömungen zu lesen, seine Eigenheiten zu erkennen und das Zusammenspiel der Naturkräfte zu verinnerlichen. Sobald man die ersten Paddelschläge macht und in die Strömung eindringt, spürt man ihr Energiefeld, das herauszufordern wenig Sinn macht. Mit ihm zu spielen, das ist erlaubt, mehr aber nicht.

Am zweiten Tag wird geübt, Strömungen zu erkennen, in Kehrwasser einzufahren, den Fluss zu traversieren. Man lernt, Steine sind Freunde, Holz und Geäst können gefährlich sein. Noch fließt das Gewässer gemächlich dahin, die Ufer sind breit, alles verwachsen und naturbelassen, am Rand die hohen Steine, die für Kehrwasser sorgen. Da wird fleißig geübt, da und dort kentert ein Boot, die beiden Lehrer ziehen es geduldig an Land.

 Nach einigen Kilometer mündet die Moësa in den Ticino. Die Moësa ist kleiner, dafür steiler und energischer. Ihr Wasser stürzt in den Ticino, wirbelt, bis es von ihm besänftigt wird und beide im Gleichklang dahinfließen. Wir fahren in die wütende Moësa ein, paddeln gegen die Stromrichtung, um dann sich mit einem leichten Heben der oberen Bootkante mit der Strömung mitreißen zu lassen. Allerdings hebe ich die Kante viel zu zaghaft an, die Strömung reißt mich nicht nur mit, sondern gleich um – schwupp, da rauscht es schon in meinen Ohren, das kalte Wasser dringt in meine Jacke.

Zuerst muss ich mich orientieren, suche nach der Leine der Spritzjacke, ziehe an ihr, derweil spüre ich, wie sehr die Strömung mich mitreißt. Ich befreie mich aus dem Boot, tauche auf und schnappe nach Luft. Das Wasser ist eiskalt, ich friere. Ich wende das Boot in die ursprüngliche Ausgangslage, da taucht Dieter, der Trainer, auf, paddelt zu mir, seilt mein Boot an und zieht es ans Ufer, ich hinten dran, lass mich mitziehen, ich schlottere vor Kälte. Draußen noch das ganze Prozedere, das mit Wasser vollgefüllte Boot zu entleeren. So ein Tauchgang kostet Energie. 

Der dritte Tag ist der anstrengendste, aber auch der aufregendste. Wir üben wieder an der Einmündung der Moësa in den Ticino. Die vielen Strömungslinien und Wellen sind ideal dafür. Dieses Mal gehe ich es vorsichtiger an, als ich in die sprudelnde Moësa einfahre und sie queren möchte. Wieder paddle ich gegen die massive Strömung, doch zu zaghaft, die Bootschnauze gibt nach, die Moësa dreht mein Boot, ich kehre flussabwärts. Beim dritten Mal gelingt mir die Überquerung, fahre ins Kehrwasser des Ticino ein, doch verlagere nicht rechtzeitig den Druck, das Kehrwasser hebt mein Gefährt und schon strample ich wieder im kühlen Nass.

Meine Kollegen sind frecher, sie stürzen sich direkt auf die Wellen, lassen sich treiben, korrigieren, werden abgetrieben, paddeln wieder hoch. Es ist, als würden sie nie genug kriegen von den unzähmbaren Wellen, die ihre Boote in alle Richtungen schaukeln lassen. Ähnlich wie Wellenreiter auf dem Meer jagen sie nach dem Glücksgefühl, das entsteht, wenn man spürt, eine Strömung gebändigt zu haben, auf ihr reiten zu können, bis sie einen dann doch wieder abwirft. Eigentlich ein ewiges Spiel. 

Am Nachmittag queren wir den Ticino nicht mit dem Boot, sondern schwimmend, natürlich an einer reißenden Stelle, wo einem beim Schwimmen ständig die Stromschnellen ins Gesicht schlagen. Das zerrt ordentlich an der Kondition. Als wir abschließend den unteren Teil des Flusses bewältigen, der uns über ein Wellental von meterhohen Stromschnellen führt, ist den meisten die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Ja, das war bei Gott ein anstrengender Tag, aber nicht derart, dass man am Abend nicht ein paar Bier verdrückt hätte.

 

Den letzten Tag (besser gesagt Vormittag) verbrachten wir auf der Moësa. Sie führt weniger Wasser als der Ticino, weshalb mehr Steine hervorlugen, das heißt man muss konzentrierter paddeln und genauer hinsehen, um nicht ständig von Hindernissen gestoppt zu werden. So geht die Fahrt teils durch seichtes Wasser, man übersieht so manchen Stein, der dann über den Bootrücken kratzt, und sie geht teils durch schäumende Stromschnellen, deren wildes Rauschen einen schon hunderte Meter vorher aufschreckt. Ich lege nichts mehr in die Waagschale, möchte nicht mehr mit der eisigen Moesa in Kontakt kommen.

Während andere in den Wogen und Wirbeln wie kleine, im Spiel versunkene Kinder herumtollen, wage ich mich nur noch zaghaft an die kraftvollen Wasserverschneidungen heran. Es rächt sich, der Übermütige wird immer abgeworfen, aber auch derjenige, der zu viel Respekt hat. Einmal lande ich noch im Wasser, denke, so für dieses Wochenende ist es genug, lasse mich noch ein wenig im ruhenden Wasser treiben, bis wir an die Ausstiegsstelle gelangen. Die nassen Kleider werden ausgezogen, ein Schluck Wasser genommen, die Boote auf das Anhängergestell gehievt. Die Fahrt geht zurück durch den Gotthardtunnel. War ein tolles Wochenende

Weitere Blogeintrag

Blogs